Page 64 - 35 Jahre Quedlinburger Musiksommer
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Kammerorchester der GutsMuths-Schule und das Col- beim »Messias«, der ersten Aufführung des Oratorien-
legium musicum. Carl Künne und Thomas Müller be- chors, ebenso bei den ersten drei Kantaten des Bach-
gleiteten am Cembalo. Ähnlich war die Besetzung schen »Weihnachtsoratoriums« 1967 mit Ludwig
1962, als das Oratorium »Alexanderfest« von Händel Gütt ler. Als sie 2011 verabschiedet wurde, konnte sie
gegeben wurde. nicht nur auf fast 60 Jahre Chorleben, sondern auch auf
Große Begeisterung beflügelte die Teilnahme und Mitarbeit im Chorrat und 35 Jahre im Gemeinde -
Einsatzbereitschaft der Schülerinnen und Schüler im kirchenrat zurückblicken. Gewiss ist solch eine
Chor ebenso wie bei zusätzlichen Aufführungen mit Chorsängerinnenbiographie schon außergewöhnlich.
dem Theater, wo sie in verschiedenen Opern und Sie zeigt, wie gemeinschaftliches Singen verbinden kann,
Operet ten mit auf der Bühne standen. Nach 1960 hatte gerade auch in schwierigen Zeiten.
sich durch die Junge Gemeinde eine über Gemeinde-
grenzen reichende »Spielschar« gebildet, die in einem Inzwischen war also 1951 Carl Künne nach Quedlin-
Sommer per Fahrrad bis in den Südharz zu ihren burg gekommen, als Organist und Kantor an die
Auftritten fuhr. Mit ihrer Sopranstimme war Doris Hel- Neustädter Kirche St. Nikolai. Er hatte den »Neustädter
mund selbst bis 1953 im Schulchor und wechselte 1954 Kirchengesangverein Quedlinburg« zügig erweitert und
in den von Kopf geleiteten Domchor, der auch zur »Kantorei St. Nikolai« umgestaltet. Er forderte den
Ernst Krause schrieb in »Die
Liberaldemokratische Zeitung« schwierige Werke ohne Instrumentalbegleitung einübte Sängern von Beginn an hohe Qualität ab. Noch im sel-
am 18.4.1952 über den und aufführte. Ihre Mutter und Geschwister gehörten ben Jahr 1951 wurde das Weihnachtsoratorium aufge-
Dresdner Kreuzchor
ebenfalls dem Chor an. Unter Carl Künne sang sie 1966 führt. Die Zusammenarbeit von Kirchenmusikern mit
Schulchören beispielsweise für die Aufführung von Ora -
torien wurde hingegen zur Privatangelegenheit.
Dafür hatte ab den 50er Jahren die neue ideologische
Ausrichtung des geistigen Lebens gesorgt, die durch
beobachtende Menschen in Gottesdiensten oder an
Kirchentüren vor Konzertbeginn abgesichert wurde.
Der »Kulturbund zur Demokratischen Erneuerung
Deutschlands« machte zum Beispiel 1952 Programm -
vorschläge zur Ausgestaltung von Weihnachtsfeiern
oder gab »Materialzusammenstellungen für Feierstun-
den in den Betrieben und auf dem Land« heraus, denn
im Juli 1952 »auf der II. Parteikonferenz der Sozialistis-
chen Einheitspartei Deutschlands stellte Walter Ulbricht
fest, daß mit dem Aufbau des Sozialismus begonnen wer-
den kann, da alle Voraussetzungen hierfür geschaffen sind«.
Schülern, denen es an »gesellschaftspolitischer Reife«
fehlte, wurde dann schon mal 14 Tage vor der Abitur-
prüfung die Zulassung dazu entzogen. Dieses Schicksal
ereilte die spätere Chorsängerin Ruth Müller (Altistin).
Als Flüchtling nach Quedlinburg gekommen, war sie
im GutsMuths-Gymnasium, sang natürlich im Schul-
chor mit, war aber nicht in der FDJ. Viele, nicht nur
Schüler, die diesen Druck nicht aushielten oder unmit-
telbar bedroht waren, gingen in den Westen. Als drei
prominente Beispiele seien genannt: der aus der Alt-
mark stammende Gründer der Deutschen Stiftung
Denkmalschutz und Ehrenbürger Quedlinburgs, Gott -
fried Kiesow, der 1950 nach Westberlin flüchtete und
dort 1951 sein Abitur ablegte, der beliebte Lehrer an
der Quedlinburger Oberschule Kammersänger Karl
Brauner und der Vorgänger des Organisten Arno Bartel,
Kurt Fiebig, der 1951 die DDR verließ.
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